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Reisebericht (1990)
Unterwegs mit dem Auto auf der Landstraße nach Rostock angehalten. Ein
Hügelgrab wollten wir sehen. Mehr Jörg, ich wollte vor allem vom zielstrebigen
Weg abweichen. Auf der Landkarte war es eingezeichnet in der Nähe einer
Mühle. Wir sahen die Mühle und hielten an. Grab – nichts zu sehen.
Wir hatten keine Vorstellung, wie so was aussieht. Ich sagte zu Jörg, „Gräber
sind halt unsichtbar“, schaute mich um auf der Höhe eines Hügels
stehend. Nein, dieser Hügel war nicht das Grab, aber in der Ferne sah ich
so etwas das auf mich wie ein Toten-Pfahl wirkte. „Dort ist es“,
sagte
ich und Jörg war überrascht von meiner Sicherheit mit der ich das behauptete.
Wir gingen hin.
Unser Weg führte in einer Senke entlang. Rechts neben uns ein leicht ansteigender
Hang, auf dessen Höhe, wenn man ihn erklommen hatte, weites, monotones Land
lag. Am Hang selber standen zwei uralte Eichen und ein zu Torf gewordener Stumpf.
Unterwegs auf der Landstraße hatten wir große Löcher bemerkt,
in denen all die auf der weiten Fläche gesammelten zu großen Steine
lagen, zu groß für die Maschinen der neuzeitlichen Agrarwirtschaft.
Die Maschinen sind den Menschen ähnlich, haben nur sich im Sinn, - ihre
Arbeit, und empfindlich sind sie gegen alles, was sie stört oder verhindert.
Steine sind anders. Sie bleiben, was sie sind auch wenn man sie wegräumt.
Sie wirken auf mich unerreichbar gegenwärtig. Eine der zwei Eichen sah aus
als würde sie vorwärts etwas zurückgelehnt den Hang hinuntersteigen
und sie hatte dabei die Arme etwas verdreht nach oben gereckt um Gleichgewicht
zu halten. Eine sehr eindrucksvolle komisch menschliche Körperhaltung, die
sie angenommen hatte. Und da sie immer da steht, durch all die Zeiten hindurch,
ist die Körperhaltung sehr ausgefeilt, so dass der Ausdruck ihrer Haltung
einer spontan eingenommen Haltung genau entspricht, und die Wahrheit des Augenblicks
zum Vorschein kommt, und das Alter des Baums macht diese Wahrheit zur Weisheit.
Die Haltung ist an den Körper – die Materie - gebunden, der Ausdruck
aber ist der innere Gehalt, und je flüchtiger – lebendiger um so reifer
das Leben (nicht einfach im Sinn von alt), näher dem, was wir mit Eros bezeichnen
und leider durch das Bezeichnen verhindern. Auf jeden Fall hinter den Eichen
war auch so eine Ansammlung von Steinen und nicht nur Steine waren da zusammengetragen.
sondern auch verdrehte Holzteile, vom Wind und Wetter ausgebleicht. Das Ganze
hatte etwas von einer Toten Ansammlung, geschehen vor langer Zeit.
(will ich eine Zeitangabe machen und versuche das Bild meiner Erinnerung an diesen
Ort scharf zu stellen, wird es immer unschärfer und die Zeit, die ich sagen
könnte in der das Geschehen ist, rückt immer weiter weg.)
Direkt gegenüber war nun dieser Toten-Pfahl. Wir gingen dorthin und ganz
sicher, es ist ein Hügelgrab, ehemals kreisrund aufgeschüttete Erde
aus der schon längst uralte Bäume wachsen, ich weiß nicht der
wievielten Generation. Der Ort war nicht weiter gekennzeichnet. Der Baum in der
Mitte fehlte. Es war ein Loch entstanden zwischen den verdreht bizarr gewachsenen
Bäumen durch deren Äste man in den Himmel sah. Kalt und windig war
es. Es roch nach feuchter Erde. Überall rings rum sind Gräben gezogen,
in denen das Wasser steht, es war wohl Sumpflandschaft vorher.
Auf dem Hügel standen Eichen und Buchen zum Rande hin Birken. Einige Bäume
waren umgestürzt, einer, eine Eiche auseinander gebrochen. Man konnte ihre
Wasseradern sehen und zwischen den Bruchstücken zu stehen wärmte auf.
(weißt Du, dass es männliche und weibliche Bäume gibt? Hast Du
schon mal bewusst wahrgenommen, dass fast alle Bäume blühen?)
Der Toten-Pfahl, ebenfalls eine Eiche, abgebrochen , ausgewaschen, bleich, etwas
außerhalb der Mitte des Hügels stehend, wie eine Mahnung, aber an
was? Ich suchte die Mitte des Ortes und dabei entdeckte ich wie zwei artfremde
Bäume ineinander gewachsen waren. Sie hatten Äste wie Saugnäpfe
entwickelt, mit denen sie sich aneinander festhalten. Was für Wuchskräfte
sind das, die das ermöglichen? Jeder nimmt jedem Licht und jeder gibt jedem
Licht. Wie mögen die Wurzeln unter der Erde aussehen? Es erinnert an erbarmungsloses
Umschlingen, das zum gemeinsamen Emporwachsen führt, als Einheit mit Widersprüchen.
Die Widersprüche schaffen das Leben und lassen leben. Wir
sind zum Auto zurück gegangen.
Auf dem Weg zurück am Feld entlang, ich sah auf die Erde, der Jörg,
ich glaube ins Licht, was meiner Vorstellung von ihm entspricht. Auf dem Boden
etwas Schwarz-Graues, wirkte lebendig und verlangte von mir meinen Blick scharf
zu stellen. Wir identifizieren ein kleines Wildschwein, noch nicht lange tot,
vielleicht 14 Tage. Erschrocken, aufgeregt, aufgerissen das Maul, ein kleines
junges Tier, schön seine körperlichen Proportionen, die Haut war
dunkel, ledern, erinnerte an das, was ich mir als Verwesen vorstelle und bald
kommen wird. Ein leichtes Berühren mit dem Schuh machte deutlich wie weich
und sehr noch Fleisch das Wesen unter der schwarzen Membran war. Das Berühren
geschah mit Scheu, als würde ich das darin – darunter Liegende verletzen
können. Es schien mir so nah gerückt, so bloß gelegt. Traurigkeit
stieg in mir auf und ließ mich besser verstehen, was es heißt andere
zu achten.
Auch ein Moment, der hier zum Ausdruck kommt, ich kann ihn nicht wieder sehen,
dieser Ausdruck vergeht. Dieser Ausdruck entstand als zwei wesensfremde Kräfte
(Maschine und Tier) zusammenprallten, und der Ausdruck vergeht, wie das Hallen
des Schreis, die Maschine zackert weiter. Der Schrei nimmt Gestalt an im Übergang,
sinkt ab in die Tiefe, von wo die Angst kommt, wo der Tod wohnt.
Auch der Tod ist wahr, hat seine Wahrheit im Verborgenen. Der Mensch fordert
ihn derart dreist, ohne dass er davon Notiz nimmt, ans Tageslicht, wo er doch
gar keinen Ort hat und deshalb so erschreckend wirkt und aussieht wie der Schreck,
den das Wildschwein als noch vorhandener Körper zurücklässt.
Ein paar Schritte, noch ein totes Tier, ähnlich umgekommen wie das zuerst
gesehene. Um nicht ratlos zu werden gehe ich weiter. Ist das alles was mir
bleibt?
Wir fahren weiter.
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